Mürbeteig komme ohne Lockerungsmittel aus, wird landauf, landab behauptet (Ausser von Henkern, die enthaupten lieber). Er müsse weder biologisch (Hefe) noch chemisch (Natron) geschweige denn physikalisch (Wasserdampf) gelockert werden. Das beliebte Mehl/Wasser/Milch-Gemisch sei nämlich von Natur aus schon sehr locker, entspannt, gechillt, ja bisweilen schon fast etwas phlegmatisch. Mürbeteige würden von Natur aus Frieden, Diplomatie und Ordnung ausstrahlen und stehen im schmeichelhaften Ruf, stet’s («stets» ohne Apostroph, du Kasper!) den Weg der Mitte zu wählen. Wer’s glaubt, erhält Seligsprechung auf dem Petersplatz in Rom. Der Weg der Mitte ist eine Sackgasse und führt nicht nach Rom.
Wirft man einen Blick aufs Rezept, stellt sich die Sache schon ganz anders dar: Mürbeteig will nämlich auf jeden Fall, um jeden Preis und zu jeder Zeit nach der stur-dogmatischen 3–2–1-Regel hergestellt werden, sprich aus 3 Einheiten Mehl, 2 Einheiten Fett und 1 Einheit Zucker, ohne Viererkette, hängende Spitze oder Doppelsechs. So und nicht anders. Einen Plan B hat der Mürbeteig nicht in der Hand. Schwach – und vor dem Hintergrund, dass nach dem Essen sowieso 6 Einheiten Hüftfett entstehen, sogar maximal ernüchternd. Die Lektüre dieses Mürbeteig-Dogmas ist so ernüchternd, es kompensiert sogar bis zu 2 Promille Alkohol innert Sekundenbruchteilen, die nachher wieder mühsam zusammengeklebt werden, natürlich mit Sekundenkleber.
Kneten, Schlagen, Rühren, der Teig ist das Mobbingopfer der Küche. Klebereiweiss, Triebmittel, Sandmasse, er wird nicht nur gemobbt, sondern nahezu gefoltert. Aber schliesslich muss man ihm ja ein Geständnis («Ich bin ein Brot/Kecks/Kuchen») entlocken. Und da sage mir noch einer, dem Mürbeteig wohne per se eine heitere Gelassenheit inne. Das ist ein Mythos. Teig macht dünn und schön, lassen Sie sich da nichts anderes aufschwatzen. Bild von Manfred Brückels.