Bei der Bildunterschrift darf sich ein Texter austoben. Headline muss knackig sein und Interesse auslösen, Subline soll Zusatzinformation geben, Lead soll teasern, Text selber will wohlstrukturiert sein – aber bei der Bildunterschrift darf geklotzt werden. Die Bildunterschrift ist die Kür der schreibenden Zunft. Zünftig statt vernünftig. Haut rein das Zeug, alles kann, nichts muss. Üben wir das einmal:
Wir sehen hier den Griechischen Gott des Weines in der Blütezeit, also in der Blütezeit des Gottes, nicht des Weines, denn der wurde ja längst geerntet. Also der Wein, nicht der Gott, der darf noch nicht geernet werden, er ist ja noch nicht mal reif. Der Gott blüht, der Wein gärt, der Betrachter stöhnt – das Triumvirat der Umlaute gibt sich ein unverblümtes Stelldichein.
Zurück zum Bild: Dionysus der Fruchtbare enthüllt hier einen Teil seines brachialen Torsi und legt, quasi als Bonusmaterial, zusätzlich noch den Blick auf eine seiner vier Extremitäten frei. Er geizt freilich nicht mir Reizen, er reizt geil mit dem Freien, er befreit die Reize der Geilen. Wir begegnen dabei einem grundsoliden Nacken, atemberaubenden Deltoiden (für den 3D-Effekt der Schulterkugel hilft Seitheben in allen Variationen), einem wuchtigen Bizeps sowie einem stabilen Unterarm, Stichwort Händedruck. Frauen würden bei Männern auf Schultern, Po und Händedruck gucken, geben Pick-Up-Bodybuilder in einschlägigen Foren gerne preis. Mythos oder Tatsache?
Das Gesicht ist leicht aufgedunsen, der Körper zieht in der Massephase etwas Wasser, aber das ist nicht weiter schlimm. Entwässern mit Brennnesseltee mit 3n und 2s sowie Reduktion gewisser Supplemente schafft Abhilfe. Die Augenbrauen sind «on fleek», würde man heute sagen: seriös gezupft und mit Stift nachgezogen. Kann man so machen.
Der androgyne Jüngling hält ein Glas Wein in der einen und einen Absatzschuh in der anderen Hand. Es bleibt zu hoffen, dass er damit nicht einfach auf Cinderella wartet und sie abfüllen will, sondern sich im Rahmen des Rausches selbst in der Kunst der Travestie übt. In der üppig gefüllten Schale dominieren derweil die Kernobstgewächse, aber auch für einen nahen Verwandten der Zuckerrübe, den Gartenallrounder Mangold, scheint noch Platz zu sein, man will ja nicht gänzlich auf Chlorophyll verzichten. Wenn Pflanzen schon Fotosynthese betreiben, darf man davon auch Gebrauch machen. Eine Bildlegende soll abrupt end…