Die drei Kurzgeschichten handeln von Sex Appeal, Jugend und Aerodynamik. Sie beruhen auf wahren Verlegenheiten und haben keine Pointe.
1 Frau läuft in High Heels (15 cm Absatz, aber 5 cm Plateau, also nur 10 cm Netto-Absatz, abzüglich Verrechnungssteuer) und Minirock durch die Bahnhofshalle. Ein Tigh Gap ist nicht zu erkennen, und trotzdem oder gerade deswegen erscheint sie attraktiv. Oder ist es eine Hot Pant? Die Hot Pant betont das Gesäss, und zwar auf der letzten Silbe. GesÄss. Das Gesäss, des Gesässes, das hat gesessen. Wenn man eine Pant hot macht und raucht, werden die Heels high.
Also: Sie überholt in ihrem unternehmungslustigen Schritttempo zwei gleichaltrige, aber ungleich züchtiger gekleidete Freundinnen. Diese erblicken sie und verdrehen die Augen, tuscheln, kichern, lästern. Jaja, in der Gruppe lacht man gerne über das Andere, das Neuere, das Mutigere, das Speziellere. Sie wenden sich wieder ihren Smartphones zu und tippen vermutlich «Hey nein, da ist gerade eine voll aufgetakelt zum Gleis gerannt. Die ist aus der Parallelklasse, megapeinlich, hättet ihr sehen müssen» in ihre christliche Whatsappgruppe mit dem Titel «Jugendfreizeit 2018 in Hamburg», die vor zwei Wochen vom alten Jugendfreizeit-Profi Torsten unter dem Claim «Rock’n’Pray: Mit Jesus am Elbstrand» feierlich eröffnet wurde.
Die Filterblase steigt den Nachthimmel empor.
Vor der Treppe nach unten knutscht ein junges Paar. Warum gibt es eigentlich nur Treppen, die nach oben oder unten führen, aber nie Treppen, die nach vorne oder hinten bzw. nach links und rechts führen? Zurück zur Szenerie, zum Päärchen: Sie ist schön und vielleicht 17 Jahre jung, er ist sehr schön und vielleicht 16 Jahre jung. Er hält ein Fanta in der freien Hand (die andere fummelt, grosse Entdeckungstour am kleinen Körper), der orange Deckel fällt runter. Zwei italienische Nonnas beobachten die Szene. Ihrer Gestik und Mimik ist zu entnehmen, dass sie in dieser Reihenfolge denken: «Oh, der hat seinen Deckel verloren.» –> «Also nein, die verdorbene Jugend verschmutzt mal wieder den Bahnhof». –> «Lassen wir sie doch in Ruhe, sie sind so schön verliebt». Die Mienen der Nonnas erhellen sich sukzessive. Wenn ein Bergwerker aus Versehen ein Feuer auslöst, dann erhellt sich die Mine, nicht aber die Miene.
Ein alter Mann fährt derweil mit dem Rad vom Bahnhof weg, er entfernt sich mit einem Stundenmittel im mittleren zweistelligen Bereich. Er beugt sich nämlich weit über seinen Lenker und bietet dem Gegenwind mit seiner Supermann-Position wenig Angriffsfläche. Ja, das Alter nagt am Körper, aber nicht am Geist. Mit seiner aerodynamisch ausgefuxten Haltung überholt er Scharen stramm trainierter Jugendlicher. Gewusst wie! Ich klatsche und rufe ihm zu: «Bravo!». Er blickt zurück, grinst und zeigt mir den erhobenen Daumen. Das analoge «Gefällt mir» hat er auch drauf. Geiler Typ.