Die Faschos auf dem Klo

Heute morgen um 2 Uhr betrat ich das Klo der einzigen 24-Stunden-Bar meiner Stadt. Kleine Bar – kleine Klos: 2 Pissoirs, 1 Kabine, dazu ein Waschbecken mit ausschliesslich kaltem Wasser, ein leerer Flüssigseifenspender sowie ein halbintakter Händetrockner. Weiter: Ein Kippfenster Richtung Innenhof, hässliche Fliesen, hässliche Kacheln und jede Menge abgedroschene Wandsprüche: «All Cops Are Bastards», «Ich war hier», «Pissen gegen Rechts», etc.pp.

Also: Das linke Pissoir war besetzt, und zwar durch den mit Abstand betrunkensten Typen der Stadt. Seine ausgewaschenen, kaputten Jeans hatte er komplett bis zu den Knöcheln runtergelassen, sein Urin verteilte sich zu je 50 % im Pissoir und auf dem Boden, seine Baseballcap lag längst in der Pisslache. Ich lief also hin und bog kurz vor dem rechten Pissoir doch lieber in Richtung Kabine an. Keinen Bock auf Ärger. Dann ruft er:

«Aaaaachtung …»

Ich lasse mir ja ungern Dialoge entgehen, also beendete ich seinen Satz mit:

– «… Marsch! Achtung Marsch!»

Das sollte es fürs erste gewesen sein, dachte ich. Er hat dumm gelabert, ich habe ihm Beachtung geschenkt, mehr geht heute nicht mehr, man soll aufhören, wenn es am schönsten ist. Doch er war offenbar gewillt, den banal-trivialen Trashtalk weiterführen:

«Musst ja nicht gleich aggressiv werden, Mann!»

Ich und aggressiv? Ich packte mein gutes Stück noch einmal ein, öffnete die Tür meiner Kabine und streckte meinen Kopf raus, um den Ahnungslosen zu spielen:

– «Aggressiv? Wer? Wo?»
«Jaja, schon gut … Hier hängt ein Bild, das sieht sehr schön aus, das Bild … Ich könnte versuchen, auf das Bild zu pinkeln … Ja, Kunst … Das wäre Kunst.

Das war kein Bild, das war ein Konzertposter, das über dem Pissoir hängte. Ein Poster, das den Auftritt einer lokalen Rockband im Juli 2013 ankündigte, haha. Aber ja, im Prinzip könnte man natürlich draufpissen und es als Kunst deklarieren. Alles kann, nichts muss, möglich ist alles im Kapitalismus. Aber der gute Herr hat sich von seinen Absichten sogleich wieder abgewandt und wechselte nun von pseudophilosophischen Ausführungen zu zwischenmenschlichem Gequatsche:

«Ihr seid echt super Typen. Super gute Typen.»
– «Wir? Danke.»
«Ja, ist schon gut. Nerv mich nicht.»
– «Sorry.»
«Super Typen seid ihr. Eure Grossväter auch … Ja, eure Grossväter auch … Scheiss Faschos.»

Hui. Nix gegen meine Grossväter, das waren (mütterlicherseits) und sind (väterlicherseits) echt gute Typen. Kann man wenig gegen sagen. Ich ging wieder hoch, meine Freunde und ich bezahlten und gingen raus. Eine Frau überquerte gedankenversunken die Strasse vor der Bar, ein entgegenkommender Radfahrer musste abrupt bremsen, fiel fast vom Rad. Völlig zu Recht richtete er einige mahnende Worte an sie:

«Sie müssen schon aufpassen.»

Sie zeigte sich aber uneinsichtig:

«Nein, SIE müssen aufpassen. SIE haben nämlich ein Rad. Und das Rad hat Bremsen. Also müssen SIE aufpassen, nicht ich.»

Starke Logik. Hat schon was: Fahrzeuge können zu jeder Zeit vollbremsen, während ein flanierender Mensch nur sehr schwer und langsam entschleunigen kann, bis er endlich zum Stillstand kommt.

Schliesslich fuhr noch ein leerer Stadtbus in Richtung Busdepot, mit ca. 50 km/h und ohne ganz Halt, «Bitte nicht einsteigen». Und am Heck des Buses klebte ein Teenager auf seinem Rad. Er wollte wohl die Windschatten-Theorie, die er kürzlich im Physik-Unterricht aufgeschnappt hatte, in der Praxis testen. Und das früh morgens, vorbildlich, Jugend forscht! Er tritt voll in die Pedalen, kann das Tempo des Buses ein paar Meter mitgehen, rutscht dann ab und stürzt, richtet sich und sein Rad auf und humpelt in die Nacht. Gute Besserung, Bro.

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