Die letzte Dosis liegt bereits 22 Stunden zurück. Normalerweise nimmt sie den Stoff zweimal am Tag, an schlechten Tagen auch drei Mal. Denn spätestens nach 10–12 Stunden setzen die Entzugserscheinungen ein. Es beginnt immer harmlos, Niesen, Gähnen, leichtes Frösteln. Nach 36 Stunden wirds dann richtig schlimm, aber so weit lässt sie es gar nicht mehr kommen, sie hat nun genug Stoff gebunkert – und ihr Dealer ist verlässlich.
So ein kurzer Entzug von einigen Stunden hat auch seine Vorteile. Mit jeder Stunde, in der sich der Stoff mehr aus ihrem Körper zurückzieht, kommt die Klarheit zurück. Klarheit im Kopf, Klarheit im Blick, emotionale Stabilität, sehr angenehm. Sie beginnt dann immer damit, ihr Atelier aufzuräumen und neue Projekte zu starten.
Das schönste am kurzfristigen Entzug ist aber immer noch die Vorfreude auf die nächste Dosis. Wie weit kann ich den Konsum herauszögern?
Wenn die Erlösung in Griffnähe ist, macht Entzug Spass. Leben am Limit, scheinbar, aber mit Sicherheitsgurt, Notbremse und Fallschirm.
Stunde 23: Mehr Niesen, mehr Gähnen, mehr Frösteln, nur noch ein paar Sachen erledigen …
Stunde 24: Sie lässt sie sich ein warmes Bad ein. Schluckt den Stoff. Die Wärme kommt doppelt zurück …
Das Glücksgefühl hält nun eine Stunde an, maximal anderthalb. Nachher wird sie etwas launisch oder lethargisch oder beides zusammen. Dann legt sie sich schlafen, bis sie am nächsten Morgen wieder mit einem Frösteln aufwacht. Und wieder von Neuem entscheidet, wann die nächste Dosis kommt.
Die Sucht bestimmt den Stundenplan.