Der Mensch sei ein Gewohnheitstier, sagt man. Das mag auf viele zutreffen. Viele Menschen haben ein fixes Weltbild, eine relativ fixe politische Meinung, einen festen und einzigen Partner an ihrer Seite. Dazu kommt eine Lieblingsautomarke, eine Lieblingsdroge (hoch im Kurs: Ethanol und Nikotin), ein Lieblingsstimulans (hoch im Kurs: Koffein). Sie bewegen sich im Durchschnitt 80 Mal im Rhythmus des Kalenderjahres und feiern die immer gleichen vermeintlichen Höhepunkte wie Ostern, 1. August, Halloween, Weihnachten und Silvester. Im Sommer Sommerferien, in den anderen Jahreszeiten mal ein Städtetrip, Stichwort #VerlängertesWochenende. Und sie ändern ihre Meinung nicht gerne: Politiker X ist super oder doof, die TV-Sendung Y ist super oder doof (oder gar «so doof, dass sie schon fast wieder lustig ist») und so weiter und so fort. Montag ist doof, Samstag ist Shopping angesagt, Sonntagabend kommt dann der Blues (oder der Tatort). Studium, Weltreise, Sabbatical, Weiterbildung, Familie, Eigenheim.
Viele Menschen legen sich also früh ihre Gewohnheiten fest und bleiben ihnen treu und zeigen wahrlich nicht viel Variabilität oder Experimentierfreude.
AUSSER, «ausser» in Grossbuchstaben – jetzt kommt die grosse Ausnahme, die ja, wenn man Sprichwörtern Glauben schenken darf, die Regel bestätigen soll –, ausser am Mittagsbuffet. Beispiel: Das Zürcher Vegi-Restaurant Hiltl hat täglich ein Mittagsbuffet, das aus rund 40 salzigen und 20 süssen Gerichten besteht. Und wenn die Gäste des Hiltl dann mit ihren leeren und zu füllenden Tellern vor dem reichhaltigen Buffet stehen, dann blicken sie im wahrsten Sinn des Wortes plötzlich ganz abenteuerlustig über den Tellerrand hinaus. Dann nehmen sie dort ein Häppchen, da ein Portiönchen, hier ein bisschen und dort ein Löffelchen. Dazu noch ein, zwei Sösschen, ein Brötli gibt’s gratis dazu, an der Kasse wird noch ein spezielles Getränk (Hoch im Kurs: Kreationen wie der hausgemachte Eistee mit z. B. Roiboos, Matcha und Ingwer) geordert. Es wird experimentiert, abgewechselt, gewagt und probiert, entdeckt und gestaunt. Die Fülle des Lebens wird am Buffet erlebt. Wow, toll, diese Auswahl. War das lecker. Dann geht es zurück ins Leben. Zurück zur Arbeit, dann früher Feierabend, dann Sport und/oder Netflix, Bettruhe zwischen 23 und 24 Uhr, Wecker zwischen 6 und 7 Uhr, dann erstmal ein Kaffee. Wir halten fest: Im Leben experimentieren wir nicht mehr gross. Amerika wurde schon entdeckt, das iPhone schon erfunden, reicht doch. Die Gepflogenheiten und Traditionen unserer Vorfahren haben sich bewährt. Es wird schon einen Grund haben, warum man es so macht und nicht so. Aber am Mittagsbuffet, da entdecken wir die Welt, da leben wir am Limit. Unsere letzte Experimentierwiese im 80-jährigen Daueralltag.
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Bild von silviarita
Juhui, gleich ab ans Buffet!