Kommentarspaltenromantik

Fans des FC Schaffhausen haben beim Derby gegen den FC Winterthur ein Transparent hochgehalten, auf dem stand: «Winti Fraue figgä und verhaue», Winterthurer Frauen ficken und vermöbeln. Ich studiere dazu die Kommentarspalte unter dem Online-Bericht des Boulevardmediums Blick.

Zuerst eine Stimme vom Ort des Geschehens: Tobias aus Winterthur ärgert sich, dass die Vereinsführung des FC Schaffhausen «Nullkommareingarüberhauptnichts» gegen solche Aktionen unternehme (Stilmittel Wortzusammensetzung). Denn auf schöne Worte wie «Wir verurteilen/distanzieren uns» müssten laut Tobias «pfefferscharfe Taten» folgen.
Leider erklärt er uns nicht, was er unter «pfefferscharfen Taten» versteht, weil er vermutlich gerade mit Tablet am Tisch sitzt und die Mühle über seine noch zu wenig pfefferscharfe Kurierpizza kreisen lässt.
Viele Stunden später, weit nach Mitternacht (Dienstagmorgen, 1.08 Uhr) klärt ihn Lorenz aus Rüfenacht endlich darüber auf, dass ein Club maximal Stadionverbote aussprechen könnte, denn «das Gewaltmonopol liegt beim Staat». Lorenz scheint die VKSJ zu vertreten (Vereinigung der Kommentarspaltenjuristen). Fraglich, ob Tobias diese Antwort je lesen wird. Ob sie überhaupt jemand lesen wird ausser mir? Wir verbuchen 0 Likes, 0 Dislikes und 0 Antworten für Lorenz. Schade. Wo ist der Diskurs, wenn man ihn braucht?

Meinungsstarke Berner
Das Geschehene erhitzt nicht nur die Gemüter zwischen Winterthur und Schaffhausen. Suzette aus dem 9’000-Seelendorf Gstaad im Berner Oberland richtet ihren Kommentar an die Freundinnen der Fans des FC Schaffhausen. «TRENNT EUCH SOFORT VON DIESEN TYPEN» (Stilmittel Capslock). Und entwirft gleich eine satirische Zukunftsprognose. Als Freundin eines solchen Typs müsse man sich darauf einstellen, in ein paar Jahren «Bierkästen vor den Fernseher zu schleppen», «und zum Hochzeitstag bekommt ihr einen Aschenbecher in Fussballform.» Herrlich. Suzette, bitte verschwende dein Schreibtalent nicht in Kommentarspalten!
Aus dem Kanton Bern ist aber nicht nur das Oberland, sondern auch das Mittelland vertreten. Michael aus Ostermundigen holt zum Rundumschlag gegen den Raubtierkapitalismus aus. «Wo viel Geld im Spiel ist, sinkt auch das Niveau», bilanziert er prägnant. Meinungsstarke Berner.

Alle gegen Sven
Nadia aus Zürich erinnert daran, dass solche Sachen weder im Handball noch im Volleyball noch im Eishockey passieren würden. «Da sind Emotionen noch sportlich», meint die nostalgische Gefühlspuristin aus der Kantonshauptstadt. Sven fällt 36 Minuten später eine schlagfertige Antwort ein: «Mag es daran liegen, dass sich selten mehr als ein paar Hundert Nasen an ein Handballspiel bewegen?» Ich recherchiere: Ans hier diskutierte Fussballspiel zwischen Winterthur und Schaffhausen «bewegten» sich 4’900 «Nasen». Zum Handballspiel zwischen Schaffhausen und Winterthur drei Tage zuvor «bewegten» sich immerhin 2’235 «Nasen». Einspruch abgelehnt, Sven.
Interessantes Detail: Sven ist ebenfalls auch der Stadt Zürich. Sicher ein Bekannter von Nadia, haha. Vielleicht sogar ihr Ehemann? Sitzt mit Handy auf dem Sofa, trinkt Bier, das ihm Nadia vorher vor den Fernseher schleppen musste, und drückt seine Zigarre in einem Aschenbecher in Fussballform aus.

Genug Spekulation, weiter geht’s: Heinz aus Sissach erfrischt die Runde mit einem Blick über die Landesgrenzen hinaus: Beim Athener Handballderby gehe immer ordentlich was ab, weiss er zu berichten. Danke für den Input, Heinz. Interessiert keine Sau.

Auch Peter aus Biberstein – Grüsse in den Aargau! – widerspricht Sven aus Zürich: «An einen Spiel des FC Schaffhausen bewegen sich auch nicht mehr alls ein Paar hundert Sehlen. Paar gross Geschrieben». Kann man so stehen lassen, denke ich. Pascal aus Altdorf und Adrian aus Diepoldsau sehen das anders. «Leider gibt es das Wort Sehlen nicht. Es wird nämlich mit 2 e geschrieben» (P. aus A.), «’Paar hundert’ ergibt gross geschrieben keinen Sinn» (A. aus D.) – okay.

Knast, Gott und Twitter
Weitere Kommentare: «So etwas muss ohne wenn und aber geahndet werden» – Antwort: «Was passiert, weiss ich jetzt schon!» (Nichts, Anmerkung der Redaktion); «Einsperren, einige Tage im Knast behalten» – Antwort: «Sind wir ein sensibler Haufen geworden, Gott helfe uns»; «Ich finde auch da hätte der Schiri die Partie abbrechen oder zumindest unterbrechen müssen» – Antwort: «Niemand reagiert vor Ort, aber auf Twitter. Toll!»

Das Schlusswort hat Metapherkönig Hampi (Hans-Peter?) aus Frauenfeld: «Auf diesem tiefen Niveau gibt’s gar keine Schubladen mehr.» Amen.

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