2 Frauen + 1 Junge

Ich stehe inmitten einer langen Schlange vor dem Postschalter. Zwangsgemeinschaft Warteschlange. Nirgends gibt es mehr schlechtgelaunte Menschen auf so engem Raum. Die Ausnahme bilden die drei Menschen mit breitem und fröhlichem Ostschweizer Dialekt hinter mir: eine Mutter, eine Patentante und ein dicker Junge in der Doppelfunktion Sohn/Patenkind. Garderobe: Flip Flops, stark strapazierte Leggings, ausgewaschene Trägershirts sowie lässig gefärbte Haarsträhnchen bei den Frauen, schwere Sneakers, weisse Socken und ein verschwitztes Shirt beim Jungen.
Die zwei Frauen sprechen über ihre Nagetiere.
Patentante: «Meiner isst ja nur Nüsse und Obst.»
Mutter: «Ach was? Kein Grünzeug?»
Patentante: «Nein.»
Junge: «Fleeeisch!»
Patentante: «Nein, er ist Vegetarier.»
Junge: «Veggieburgeeer!»
Man merkt, der dicke Junge kann vermutlich aus jedem Kontext eine Aufforderung zum Mac-Besuch machen. Aber nicht immer hat er Erfolg. So auch heute nicht:
Mutter: «Nein, da waren wir doch schon gestern.»
Mutter und Patentante sprechen nun übers Kartenlegen. Von Hamstern zu Engeln. Eine Bekannte habe eine schwere Krankheit, und ihr Arzt habe ihr eine düstere Prognose gegeben. Doch die Mutter habe eine ihrer Karten gezogen, diese über Sommer in den Garten gelegt – und zack, vollständige Heilung! Magisch! Jetzt gäbe es bereits einen neuen Krankheitsfall im Bekanntenkreis, aber der Ehemann habe die Karten beim Umzug leider fortgeworfen, weil er nicht viel von Esoterik halte. Die Rache der Frau: Sie habe seinen Fussballkalender entfernt. Und es kommt noch dicker: Sie habe sich neue Karten besorgt. 2:1!
Derweil entdeckt der dicke Junge einen Kühlschrank voller Süssgetränke. «Schwip Schwaaap», ruft er euphorisch in die Runde. Wir bilanzieren: Dies waren seine Worte 3 und 4: Fleisch, Veggieburger, Schwip und Schwap. Er will nun also keinen Burger mehr, sondern ein Cola/Orange-Mixgetränk. Die Mutter lehnt erneut ab, die Patentante wird weich und schlägt einen Deal vor: «Ich zahle dir ein Schwip Schwap, aber du musst es selbst aus dem Kühlschrank holen.» Sie ist eben auch nicht die Fitteste. Der dicke Junge freut sich, geht zum Kühlschrank und kommt mit einer Mezzo Mix zurück. Dazu die Worte – wir ahnen es schon – «Mezzo Miiix!» Der Junge verweigert sich der Syntax. Er wird in seinem Leben mehr Burger essen als Verben konjugieren.
Die Mutter hat nun einen berechtigten Einwand: «Ich dachte, du wolltest ein Schwip Schwap?» – Antwort: «Zu tief unten». Er mochte sich nicht nach dem Schwip Schwap bücken und hat halt die Mezzo Mix auf Hüfthohe genommen. Energie sparen um jeden Preis. 2 Franken 50.
Dann, als ich endlich an der Reihe bin und mein Paket abholen darf, passiert das Unfassbare. Der Junge macht einen korrekten Satz, mit Subjekt, Prädikat und Objekt. «Ich habe Huuunger!» Ich bin stolz auf ihn.

Bild von Martin Weickler

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