Warum ich den «schwarzen Gürtel im Blasen» trage …

Vorsicht, dieser Beitrag ist gay!
(engl. für «bunt»)

Wir wollen Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wir sagen, es gebe mehr als zwei Gender. Wir wollen Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. In meinem Umfeld zumindest. Ich wohne im linksgrünen Winterthur und arbeite als Kreativer im hip-modernen Zürich. Abgesehen von meiner fundamentalistisch-christlichen Verwandtschaft lebe ich in einer linksliberalen Bubble. Zumindest in der Theorie …

Einstiegsfrage: Warum nimmt fast kein Ehemann den Namen der Frau an? Macht man(n) halt einfach (noch) nicht so, gell? Geschenkt.

Andere Frage: Warum trägt fast kein Mann Nagellack? Macht man(n) das nicht? Darf man(n) das nicht? Traut man(n) sich das nicht? Auf jeden Fall sind – wie auch beim Familiennamen nach der Hochzeit – die Rollen beim Nagellack klar verteilt: eine Sache für Frauen und Drag Queens, nichts für echte Kerle. Wenn, dann durchsichtigen Nagellack, und auch nur, wenn es «der Pflege und Hygiene» dient.

Wobei … Typen mit schwarzem Nagellack kann man immerhin noch als Hard Rocker, mysteriöse Bad Boys oder als nicht-heterosexuell schubladisieren. Aber Rot? Glitzergrün? Weiss? Äh, sorry, ich meine: Nutten-Weiss? Hallo? Gibt’s nicht in unseren Weltbildern.

Männer, die es trotzdem tun (einfach, weil es ihnen gefällt), rechtfertigen sich deshalb gerne ungerne mit «Ausreden wie «Habe eine Wette verloren» oder «Damit ich nicht mehr Nägel kaue». Sie sprechen sich in unzähligen Internetforen Mut zu. Müsst ihr mal googeln! Arme Kerle. Aber ich verstehe sie. Ich habe mir die Ausreden auch mal überlegt. Falsch: Ich tue es immer noch …

Lack und Make-Up? Solange man es nicht sieht …

Auch beim Make-Up sind die Grenzen für heterosexuelle Männer klar abgesteckt: Augenringe abdecken ist in Ordnung, ein bisschen schwarzer Kajal auch, «wenn es zum Typ passt». Ansonsten gilt, was man den Online-Medien entnehmen kann:

  • «Männer benutzen Make-up, um Unreinheiten abzudecken und den Teint frischer wirken zu lassen»
  • «Mit diesen Tipps für ein natürliches Männer-Make-up fällt garantiert keinem auf, dass Sie geschminkt sind.
  • «So schminken sich Männer richtig»

Auch ich habe dazugelernt

Ich schweife ab: Wenn eine Frau sich sehr freizügig kleidet und sich dann von den Reaktionen belästigt fühlt, sagen die Männer gerne mal: «Kleide dich dezenter!» Kennt ihr, oder? Das habe auch ich lange gedacht.

Seit ich vor zwei Jahren das erste Mal mit bunten Haaren und Zwirbelschnauz unterwegs gewesen bin, weiss ich endlich: Selbst wenn man auffallen will, gibt es angenehme und unangenehme Reaktionen. Permanentes Anstarren, lautes Tuscheln und dreiste Fingerzeige sind eine Belästigung. Auch für Leute, die gerne auffallen.

Seit einem Monat laufe ich nun mit rotem Nagellack, gezeichneten Augenbrauen und Eyeliner durch die Welt. Das hat mich Mut gekostet, und die ersten Tage habe ich auch nur durchgehalten, indem ich permanent über meine Kopfhörer laute Musik gehört und an den Menschen vorbeigeschaut habe.

Da fällt mir ein lustiger Stereotyp-Widerspruch ein. Ich schweife wieder ab, egal, wichtig: Also, der Stereotyp besagt, dass Männer mutig und selbstbewusst sind. Der gleiche Stereotyp besagt, dass Männer keine High Heels tragen. Ist ein Mann mit High Heels nun weiblich, weil er Frauenschuhe trägt? Oder nicht eher männlich, weil er so selbstbewusst ist, Frauenschuhe zu tragen? Sehen Sie? Stereotypen sind dumm. Aber ja, mittlerweile kostet es mich keinen Mut mehr, mit rotem Nagellack und Make-Up herumzulaufen. (Wenn nur das Halsband nicht wäre. Von High Heels ganz zu schweigen, doch dazu gleich)

«Du weisst schon, was das heisst?»

Ich halte fest: Männer dürfen heute Make-up und Lack tragen – aber nur dezent und aus hygienischen Gründen. Und wenn aus ästhetischen, dann bitte nur schwarzer Lack oder schwarzer Kajal. Mehr Farbe und mehr Make-Up irritiert. Aber es geht. Man gewöhnt sich dran.

Was aber nicht geht, ist ein Halsband. Mit meinem Halsband habe ich den Bogen überspannt …

  • «Du weisst schon, dass das für kleine Mädchen ist?»
  • «Weisst du, was man über dieses Halsband sagt?»
  • «Oh, du trägst den schwarzen Gürtel im Blasen?»

Und das von Menschen, die sich als aufgeklärte Linksliberale geben. Ich habe eine Grenze überschritten. Und das merke ich den ganzen Tag lang. Durch Kommentare, Reaktionen, Blicke, Witze. Hach, diese lustigen Witze. Witze sind Mobbing light. Aber ich bin ja selber schuld, muss nicht so herumlaufen.

Es kostet mich Überwindung, dieses blöde Halsband zu tragen. Und es gibt noch Situationen, in denen ich es spontan abnehme. Ich bin eben nicht so mutig, wie man mich einschätzt. Und auch nicht nur eine «Attention Whore». Ich will einfach Grenzen überschreiten. Auch wenn es weh tut. «Genderbending» ist ein Konzept, dass mir gefällt.

Some gender benders ifendity with the sex assigned them at birth, but challenge the societal norms that assign expectations of particular, gendered behavior to that sex.

Ich fühle mich nicht als Frau. Oder schon? Ich bin nicht schwul. Oder schon? Ich will auch nicht als heterosexueller Mann bezeichnet werden. Diese dummen Scheiss-Labels können meiner Ansicht nach nur abgeschafft werden, wenn man spielerisch damit umgeht.

PS: Normalerweise schreibe ich Tweets mit Pointen. Kurzgeschichten ohne Schnörkel. Präzise Werbetexte. Dieser Beitrag ist sehr wirr und unstrukturiert. Weil ich dieses Thema gar nicht anders angehen kann. Experimentieren, spielen, Fragen stellen. Mehr kann wir nicht. Können wir nicht …

PPS: Wie gefallen euch meine High Heels? Noch traue ich mich nicht, mit diesen aus dem Haus zu gehen. Noch. Versteht es als Drohung! 😛

 

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Ein Kommentar

  1. Es bedarf des Mutes zu tun, was du tust. Manch einem fehlt der Mut, mit diesem „anders sein“ umzugehen, auch, wenn es sie selbst nicht betrifft.
    Nur eine Anmerkung bezüglich der Heels, die du mir hoffentlich nicht übel nimmst: bitte nicht mit diesen Söckchen…
    Ansonsten: lebe so, wie du glücklich bist.

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