Warum ich eine Tunte bin

So, das wird jetzt wieder  sehr persönlich und nicht wahnsinnig strukturiert, aber ich darf das ja, da ich eh nur eine Tunte bin, die Aufmerksamkeit sucht*. Ach egal.

Also, ich versuche so kurz und direkt wie möglich zu sein. Wird ein selbskritischer Beitrag.

«Du bist ja eine Frau!»

Während meiner kaufmännischen Lehre war ich ein bisschen Aussenseiter. Ich trug lange Haare (als Kaufmann!) und war Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (als Kaufmann!) – dazu ass ich kein Fleisch, war dünn und nur 174cm gross – und die Kollegen machten mich permanent auf diese ach so weiblichen Attribute aufmerksam. Wisst ihr, wie ich darauf reagiert habe? Ja, richtig, mit schlagfertigen Antworten und der selbstbewussten Haltung, dass ich zu mir stehe und das mache oder trage, was mir gefällt.

Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Bald begann ich mit Bodybuilding! Innert weniger Monate wurden aus meinen ach so weiblichen 56kg männliche 92kg. Ich beugte 160 kg und machte Klimmzüge und Dips mit viel Zusatzgewicht. Was für ein Typ!

«Ich beweis dir das Gegenteil!»

Das Prinzip: Ich stand weiterhin zu meinen vermeintlich weiblichen Attributen, stärkte aber gleichzeitig die vermeintlich männlichen Attribute.

Ging gut auf. Aber die Geschichte wiederholte sich:

Denn 50 % der Zeit im Gym verbrachte ich mit Beintraining. Nicht nur Kniebeugen und Beinpresse, sondern auch diverse abenteuerliche Arschübungen. Natürlich machten mich nun die Gym-Kollegen auf mein vermeintliches Frauentraining aufmerksam. Sie waren höchst irritiert.

Ich reagierte wieder nach dem gleichen Prinzip: Ich sagte, Frauen würden auf geile Ärsche stehen! Ich blieb mir also treu, versuchte aber zusätzlich mit ach so männlichen Argumenten gegenzusteuern.

Weitere Beispiele: Meine Lieblingsfarbe ist Pink, aber das sei ja lange Zeit eine Jungenfarbe gewesen. Ich trage lange Haare, aber das machen ja Rockstars auch, und die haben die meisten Groupies. Und so weiter und so fort.

Kurz: Ich stand schon als Jugendlicher zu dem, was mir gefiel. Und ich liess mich nie davon abbringen, sondern versuchte gleichzeitig mit allen Mitteln zu beweisen, dass ich trotzdem ach so männlich bin. Und irgendwie war ich dann auch stolz drauf, dass ich zum Ende der kaufmännischen Lehre gleich drei Mitschülerinnen datete. Ach, wie männlich, Nico!

Heute: Noch weiblicher, noch männlicher

Ich glaube, das mache ich noch heute so. Ich trage mehr Pink denn je, dazu lackierte Nägel, Make-Up und Halsbänder. Huiuiui. Aber das Prinzip ist das Gleiche, siehe Twitter:

  1. Auf der einen Seite: dazu stehen!

Bildschirmfoto 2019-10-15 um 19.49.33

  1. Auf der anderen Seite: Männlichkeit beweisen!

Bildschirmfoto 2019-10-15 um 19.49.05

Das geht besser, Nico!

Ich bin stolz auf mich und auf meine geilen Freunde online wie offline die mich supporten. Dazu gehörst auch du, die/der das gerade liest. Und hey, ich mag auch Widerspruch, Diskurs und Provokation. Ich will weiter zu mir stehen, vielleicht ein Vorbild für andere sein, die Diskussion um die beschissenen Stereotypen und Vorurteile suchen und mit gutem Beispiel vorangehen.

Aber es wäre schön, wenn ich selbst irgendwann nicht mehr in den Kategorien von weiblich und männlich denke und immer gleich alles ach so Weibliche an mir mit ach so Männlichem kompensieren muss. (Momentan trage ich unter meinen geschminkten Augen einen Macho-Schnauz. Auf dem Titelbild zeige ich sogar einen Mittelfinger! Du Prachtskerl, Nico).

Und da noch mehr Selbstkritik: Neulich sah ich ein Klimademo-Plakat mit dem Spruch «Für unsere Kinder und Enkelkinder». Daneben waren zehn Kinder gezeichnet, fünf Mädchen mit Röcken und fünf Buben mit Hosen. Ich dachte für wenige Sekunden: «Schade, dass auch Klimaaktivisten solche Stereotypen bedienen!» Dann fragte ich mich: Wer sagt mir denn, dass das mit Röcken die Mädchen und das mit Hosen die Buben seien? Das ist nur mein eigenes Denken! Ja, lasst uns bei uns selbst anfangen!

* Und neben der Selbstkritik noch eine Fremdkritik: Nein, ich bin keine Attention Whore, die absichtlich Beleidigungen und Belästigungen provoziert. Ich will nämlich gar nicht in einer Welt leben, in der ich wegen des bisschen pinken Nagellacks Aufmerksamkeit kriege. Ich habe Normalität ganz gern. Und ich freue mich, wenn das, was heute Aufmerksamkeit erzeugt, irgendwann normal ist. Come on!

Ein Kommentar

  1. … schön geasgt!: Aber es wäre schön, wenn ich selbst irgendwann nicht mehr in den Kategorien von weiblich und männlich denke und immer gleich alles ach so Weibliche an mir mit ach so Männlichem kompensieren muss.

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