Sperma, Blut und Tränen!

In der Bahnhofshalle befindet sich eine Sitzbank. Und auf ebenjener sind nicht mehr und nicht weniger als drei Menschen unterschiedlicher Couleur befindlich. Ich zähle auf:

• Ältere Dame mit ergrauter Dauerwelle, gut gekleidet. Sexuell bestimmt noch aktiv (Stichwort «junge Lover»).
• Junger Typ mit längerem Haar, Jeans (mit Löchern) und Jeansjacke (ohne Löcher), Kopfhörer auf.
• Joe Public, kurzes und zur Seite gescheiteltes Haar, mittleres Alter, Anzug ohne Krawatte, Marke Durchschnittstyp.

Die spannende Frage, die sich mir stellt, ist: Was ist der Sinn des Lebens? Äh, ich meine: Auf welchen dieser beiden Typen fährt die ältere Lady wohl ab? Junger Rebell mit 1A-Megasperma und Testosteron to go (klingt geil, oder?) oder lieber Saubermann mit schönem Auto und eigener Wohnung beziehungsweise eigenem Auto und schöner Wohnung?

Meine Gedankengänge werden jäh unterbrochen, als ich ein Spuckgeräusch vernehme. Der Sexist in mir ordnet es dem jungen Typen zu – aber falsch gedacht. Es war die Lady, und sie spuckt gleich ein zweites Mal, pflanzt eine zweite Speichelpfütze neben die erste, gross wie ein Kaffeefleck, irgendwie widerlich, irgendwie aber auch geil, da Körperflüssigkeiten ja irgendwie widerliche, irgendwie aber auch geile Assoziationen hervorrufen können.

Es wird noch absurder: Der junge Rebell empört sich ob der schlechten Manieren der Lady. Er versuchts es mit einigen entsetzten Ausrufen («Ich darf doch sehr bitten»), gleitet dann in Fluchen («Sie widerliche Sau, Sie!») über und erhebt sich dann, um der Dame eine zu scheuern. Mit Schmackes und Anlauf, voll auf die Wange.

Das wiederum lässt sich Nummer 3 (Saubermann) nicht bieten. Er schreckt vom Bank hoch, zieht seine Brille ab, krempelt seine Ärmel zurück und schnauzt den jungen Typ an: «Sach mal, weisst du nicht, wie man richtige Backpeifen gibt?» Er holt aus und klatscht die Lady mit einer satten Ohrfeige von der Parkbank. «So wird datt jemacht!» (Hä, warum spricht er plötzlich Dialekt?)

Die Dame wiederum, erst Täterin, nun plötzlich Opfer, kann sich gerade noch ihre Handtasche greifen, zieht eine Kleinkaliber und schiesst. Sich in den eigenen Kopf. Die beiden Herren wirken entsetzt und werfen sich beide aufs Gleis. Der einfahrende Zug bremst aber gerade noch rechtzeitig. Die Herren richten sich auf und verlassen die Bahnhofshalle Hand in Hand.

Hä?